CoHousing|Berlin für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen

The times, they are a changing

Diskussionspapier zu Perspektiven der Baugemeinschaftsprojekte, August 2013

Liebe Kolleg/-innen Baugemeinschaftsgründer und -entwickler,
 
erinnert ihr euch noch an die Zeiten, als wir Baulücken im Innenstadtbereich in geeigneter Größe für ein halbes bis ein Jahr reservieren konnten, dann die Reservierungszeit nochmal verlängern, für einen niedrigen sechsstelligen Betrag kaufen und der Verkäufer hat sich sogar bedankt wenn wir nochmal ein halbes Jahr später bezahlt haben? Klingt ganz schön unglaublich, ist aber gerade einmal drei bis fünf Jahre her. Heute betteln wir darum, viermal so große Grundstücke voller giftiger Altlasten für den zwanzigfachen Preis kaufen zu dürfen, und nein, der Herr Verkäufer möchte die Anzahlung nicht erst nächsten Monat, und der Herr  Makler möge bitte auch noch bezahlt werden. Was ist geschehen?
Berlin steckte „damals“ in der Investitionsflaute, der Immobilienmarkt lag brach, Wohnungsbau war weitgehend zum Erliegen gekommen. Baugemeinschaften waren durch Mobilisierung des sonst kaum zur Verfügung stehenden Mittelstandskapitals eine der wenigen Akteursgruppen, die in diesem Bereich noch aktiv waren. Heute ist Berlin, wie schon 1990 vollmundig postuliert wurde, mit Verzögerung zur attraktiven Weltstadt geworden, neue Bewohner strömen in Scharen, der Liegenschaftsfonds ist leergekauft und wird abgewickelt (keine Träne), Investoren bauen sowohl im Miet- als auch im Eigentumswohnungsmarkt durch Niedrigzinsen befeuert was die Bank hergibt, die Grundstücks- und Baupreise steigen sprunghaft, der Markt expandiert wie nichts Gutes.
Und wir, und die Baugemeinschaften? Ist unser Modell noch zeitgemäß? Die Funktion der Mobilisierung des Mittelstandskapitals ist obsolet geworden, doch für Mitglieder und zukünftige BewohnerInnen ist das Modell natürlich weiterhin ungebrochen attraktiv. Partizipative Planung, selbstgewählte Nachbarschaft, verlässliche gestalterische, technische und ökologische Qualitätsstandards sprechen nach wie vor für das Bauen in Gemeinschaft. Aber, auf aktuell Baugemeinschaftsinteressierte kommen stark veränderte Projekte zu. Früher wurden durchgeplante Projekte präsentiert, in die ohne nennenswertes Risiko eingestiegen werden konnte. In Zukunft wird verstärkt die Katze im Sack gekauft werden müssen und frühzeitig Geld auf den Tisch gelegt werden, verbunden mit dem Risiko eines gewissen finanziellen Verlustes. Und am besten erkundigt man sich gar nicht erst, was für Preise in früheren Projekten bezahlt wurden.
Auf uns Baugemeinschaftsentwickler, -architekten, -öffentlichkeitsarbeiter und -steuerer kommt die Herausforderung eines aggressiven Developments ohne Wenn und Aber zu. Klar ist, dass diese Form der Entwicklung auf die Stimmung in der Baugemeinschaft durchschlagen wird. Weg von Wohlfühlprojekten, hin zu markt- und konkurrenzfähigen Investments? Vorteil für uns ist natürlich, dass die langen Vorleistungsphasen entfallen, sehr schnell die Hop-oder-top-Entscheidung fällt. Aber wollten wir so arbeiten? Wollen wir dann nicht lieber Projekte machen die maximalen Spaß versprechen (idealistische Leuchtturmprojekte), maximale Kohle (die Welt der Developer und Bauträger) oder gesellschaftlich Sinn ergeben (Sozialmietwohnungsbau)?
Oder warten wir einfach ab, bis der DJ wieder die alte Platte des Kollegen Dylan auflegt, lange kann’s ja nicht dauern:
Once again: The times, they are a changing.
Jörg Mauer
Projektsteuerer Baugemeinschaften